Janna
An wen erinnern wir uns heute?
Wir erinnern uns zum Einen an meinen Bruder, der sich das Leben genommen hat als ich siebzehn Jahre alt war und wir erinnern uns an meinen ehemaligen Lebenspartner, der sich das Leben genommen hat ein halbes Jahr nachdem wir uns getrennt hatten. Das war zwanzig Jahre nach dem Suizid meines Bruders, letztes Jahr im Januar während der Pandemie.
Was ist passiert?
Letztes Jahr Ende Januar bekam ich einen Anruf bei der Arbeit von einer Freundin, die mir die Nachricht überbrachte, dass Roman einen Unfall hatte und in der Intensivstation im Sterben lag. Das war für mich eine Art Retraumatisierung, weil mit siebzehn Jahren meine Eltern mich abholten in einer Werbeagentur in der ich zu der Zeit gearbeitet hatte und klingelten und mich auch vor diese Nachricht des Todes meines Bruders stellten.
Natürlich kann man abschließend nicht sagen, ob es bei Roman ein Suizid war, weil er auf die Straße getreten ist und von einem Auto erfasst wurde. Was in diesem Augenblick in ihm stattfand, kann niemand sagen, ob er in diesem Moment vielleicht einen Sog gespürt hat auf die Straße zu treten oder ob er vielleicht aufgrund der Medikamente zu diesem Zeitpunkt irgendwie abwesend war, was genau in einem Menschen dann vorgeht, kann man natürlich nicht sagen.
Was hat es mit dir gemacht?
Damals als ich siebzehn Jahre alt war, war das komplett eine Zäsur, es gibt für mich ein Leben vor dem Tod meines Bruders und ein Leben danach. Und jetzt mit meinem ehemaligen Lebenspartner ist es natürlich genauso unglaublich, weil das ein Mensch ist mit dem man kaum näher sein kann. Und meinem Bruder war ich auch sehr, sehr nah. Die Verbindung zu beiden war unglaublich groß. Trotzdem war ich jetzt nicht mehr so hilflos. Ich hatte gelernt mit so etwas umzugehen. Als ich siebzehn war, war ich vollkommen überfordert. Ich hatte das Gefühl, eine Bombe schlägt in unsere Familie ein, jeder ist für sich beschäftigt mit dem Schmerz, auch meine Eltern. Ich habe mich sehr alleine gefühlt. Niemand konnte das verstehen, meine Freunde haben das nicht erlebt, wussten nicht, was für ein unendlich tiefer Schmerz das auslösen kann.
Was hat dir geholfen?
Ich habe auch schon damals, vor zwanzig Jahren, versucht Wege zu finden, mich dem Leben zuzuwenden und nicht den Weg meines Bruders zu gehen. Ich habe mich ganz bewusst für das Leben entschieden. Ich bin dann als ich achtzehn wurde und mit der Schule fertig erstmal ans andere Ende der Welt gereist. Da habe ich erst den Raum gehabt zu entdecken und zu fühlen, was da eigentlich passiert ist, mit dem Abstand zu diesem Trauerhaus, meinem Elternhaus.
Jetzt mit Roman, als er gestorben war habe ich mich mit einer guten Freundin im Wohnzimmer auf den Boden gelegt und Mozarts Jupiter Symphonie gehört. Musik war in diesem ganzen Prozess der Loslösung und der Trauer ein ganz wichtiger Punkt.
Ich habe mir im vergangenen Jahr hinweg viele verschiedene Veranstaltungen, Rituale und Möglichkeiten gesucht um meinen eigenen Weg des Trauerns zu finden und habe dabei entdeckt, wie kreativ das eigentlich sein kann und wie nah am Leben das sein kann. Ich habe beispielsweise ein Haiku hunderte Mal auf eine Leinwand geschrieben, dieses Rezitative hatte etwas von einem Mantra oder einen Rosenkranz beten.
Sowieso haben mir Rituale geholfen, vor allem, wenn sie in Gemeinschaft waren, wenn sie in Verbindung stattfinden. Ich glaube eigentlich, dass Trauer beides braucht, einen Moment der Zurückgezogenheit und des Schutzraumes, aber eigentlich ist das nichts, was man alleine macht.
Was hat dir nicht geholfen?
Damals als mein Bruder gestorben war, in diesem kleinen Ort waren Menschen überfordert mit der Situation und ich war teilweise damit konfrontiert, dass sowas dann nach ein paar Wochen auch mal wieder gut sein kann. Da war kein Verständnis für das Ausmaß und dass dieses Erlebnis mich maßgeblich für viele, viele Jahre begleiten sollte.
Was machst du jetzt mit deinem Leben?
Celebration of life and death ist für mich zu einem Leitsatz geworden, das gehört zusammen und genauso gehören auch Freude und Trauer zusammen. Wir haben ein Gemüt und man kann nicht das Eine von dem Anderen trennen. Es braucht die Trauer um sich auch wieder ganz freuen zu können.