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„Ich weiß heute,
dass ich bleiben darf“

Sabrina

Was ist passiert?

Mein Mann war Leistungssportler. Dem Trainer fiel auf, dass mein Liebster seit einiger Zeit nicht mehr so leistungsfähig war. Zudem litt er unter enormen Hustenattacken, die er auf eine verschleppte Erkältung zurückführte. Nach einiger Zeit suchte er dann einen Arzt auf, der aufgrund der Röntgenbilder ratlos war, da er so etwas noch nie gesehen hatte. So begann der Ärztemarathon. Nach weiteren Wochen stand die Diagnose. Mein Mann war zu der Zeit weiterhin körperlich fit, sehr aktiv, lebensfroh und guter Dinge. Ein Lungenspezialist teilte uns dann nach einer weiteren Untersuchung, hinter seinem Computer versteckt, kurz und knapp mit, dass mein Mann an Lungenfibrose erkrankt sei und ihm maximal 2 Jahre blieben.

Als er bereits so schwach war, dass er sowohl auf die 24std Sauerstoffzufuhr angewiesen war, als auch im Rollstuhl saß, beschlossen wir zu heiraten.

Es war ein wundervoller Tag mit unseren Lieblingsmenschen im Himmelmoor. Unser engster Freund traute uns unter freiem Himmel mit Blick in die Weite. Weitere Freunde machten Musik, kümmerten sich um das Buffet und sorgten für uns. Die Gäste beschrieben diesen Tag, diese Stimmung und das Innige zwischen uns als sehr intensivstes und tiefgreifendes Erlebnis.

Noch einmal reisten wir gemeinsam für einige Tage ans Meer.

Danach wurde uns klar, dass das Pensum an Pflege zu Hause durch mich nicht mehr zu leisten war. Zu der Zeit arbeitete ich, unsere Tochter war 2,5 Jahre alt und mein Mann konnte nicht einmal mehr selbständig stehen. Ich konnte das Haus kaum verlassen, er brach regelmäßig zusammen, bekam unter Hustenattacken keine Luft mehr.

Er wurde somit im Krankenhaus aufgenommen. Parallel dazu führte er die Liste der Transplantationskandidaten für eine Lunge an, so dass es jederzeit soweit sein konnte.

Eine Alternative dazu gab es nicht mehr. Es war klar, dass er das Ende des Jahres wohl nicht erleben würde, da er immer schwächer wurde und drohte zu ersticken.

Kurze Zeit später klingelte nachts das Telefon, eine passende Lunge sei gefunden. Ich solle mich sofort auf den Weg machen, die Transplantation würde nun eingeleitet. Unfassbares Glück durchströmte mich und die tiefe Hoffnung auf Perspektive für meinen Mann, für mich, für unsere Familie.

Die Transplantation verlief gut. Jedoch war das Immunsystem bereits so geschwächt, dass er nach 3 Wochen, die ich an seinem Bett verbrachte, an einem Multiorganversagen verstarb.

Was hat es mit dir gemacht?

Zunächst einmal hat mich der Tod meines Mannes in ein unendlich tiefes Loch bestehend aus Zeit gerissen.

Aus heutiger Sicht befand ich mich über Wochen hinweg in einer Schockstarre, habe viele Ereignisse aus dieser Zeit tatsächlich abgespalten, nur diffuse Bilder sind geblieben. Immer wieder kam „die riesige, unerwartete Bratpfanne“, die mich von der Seite mit der blanken Realität erwischte und mich erschlug, mich mit Weinkrämpfen erschöpft am Boden zurück ließ.

Immer wieder begleitete mich bereits zu Lebzeiten meines Mannes das tobende Gefühl von Wut in mir. Warum? Warum muss er, müssen wir so leiden? Warum haben andere die Möglichkeit „locker, flockig“ vor sich hin zu leben? Habe ich nicht in meinem Leben bereits genug ertragen? Warum lässt Gott diese wahnsinnige Qual so vieler Beteiligter zu? Warum entsteht immer wieder Hoffnung und die „Keule der Realität“ holt uns dann doch ein?

Der, der mich wirklich zutiefst beeindruckt hat und das bis heute, ist mein verstorbener Mann. Er hat gekämpft, wenn es möglich war und hat sich fallen gelassen, als es nötig war.

Was hat dir geholfen?

Einerseits war in den Wochen und Monaten der tiefen Trauer die Zeit, besonders die freie Zeit, mein Feind.

Ich konnte es kaum aushalten, nicht beschäftigt zu sein. Hatte Panik davor, der Gedankenspirale in Abwärtsrichtung ausgesetzt zu sein. Ein vollgepackter Terminkalender erleichterte mich, nicht denken zu müssen, sondern in Bewegung zu sein. Vor mir und meinen Gedanken „weglaufen“ zu können, indem ich in Aktion war, gab mir Halt und Ruhe. Ich habe mir jedes Recht der Welt eingeräumt in der Zeit alles tun und lassen zu dürfen, was mir gut tat. Auch wenn es nach außen hin absurd wirken mochte. Ich hielt es beim ersten Weihnachtsfest nicht aus, harmonisch mit der Familie unterm Tannenbaum zu sitzen und über Banalitäten zu faseln. So trug ich den geschmückten Tannenbaum nach einigen Stunden aus der Wohnung in den Garten, übergoss ihn mit Rum und zündete ihn an. Ich tat zu jeder Zeit wonach mir in dem Moment war. Vieles half mir im Rahmen von Ritualen. Gedanken nieder zu schreiben und die Zettel zu seinem Grab zu bringen, oder an Orte, die uns wichtig waren. Ich gab mich meinen Gefühlen hin, hörte Musik, fuhr ans Meer, ließ mich von Weinkrämpfen schütteln und lachte Tränen über seine Marotten, an die ich mich erinnerte.

Andererseits war es aus heutiger Sicht die Zeit, die einfach so ungefragt dahinplätscherte die, die mich „heilen“ ließ. Erfahrungen zu sammeln, dass das Leben Freude und Spaß für mich bereithält, ging mehr und mehr in eine Sicherheit über. Es half mir mit den Menschen Zeit zu verbringen, die auch ihm nahe standen, das brachte ihn gefühlt zurück in unsere Mitte.

Sehr regelmäßig fuhr ich zu seinem Grab und verbrachte dort oft Stunden, die es mir ermöglichten in meinem Tempo Abschied zu nehmen und nicht in dem, das das Schicksal für uns gewählt hatte.

Was hat dir nicht geholfen?

Sicher meinen es die Menschen, auf die man in der Zeit der Trauer trifft, gut mit dem Trauernden. Die meisten sind unsicher in der Wortwahl und im Gegenübertreten.

Mir hat Authentizität im Kontakt geholfen. Mit Äußerungen wie: „Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll, es tut mir einfach nur weh“, konnte ich gut umgehen. Ein Gefühl kann ich mit einem Menschen teilen, gelangt in mein Herz. Ein gut gemeinter Rat an der Stelle, wie z.B.: „die Zeit heilt alle Wunden“, stockt im Kopf und hat mich zu keiner Zeit berührt, geschweige denn geholfen.

Was machst du jetzt mit deinem Leben?

Ich kann sagen, dass wenige Menschen erfahren dürfen, wie weit sie für den Menschen, den sie aus vollem Herzen lieben, gehen können.

Was bedeutet Liebe?

Was bedeutet es, an der Seite eines Menschen zu sein?

Was bedeutet es, einen Menschen in den tiefsten Tiefen zu erleben und ihn zu begleiten?

Was bedeutet es den Tod zu spüren, als wäre es dein eigener?

Was bedeutet es mit allem, was dir zur Verfügung steht, für jemanden da zu sein?

Ihn zu beschützen wie ein Löwe?

Wie fühlt es sich an zu wissen, dass man die sein wird, die bleibt?

Das Leben des Anderen weiter zu führen?

Die Verantwortung, Sorge und Liebe für die Kinder allein weiter zu führen?

Was bedeutet es, den anderen gehen zu lassen?

Heute bin ich an dem Punkt, an dem ich alle Kämpfe ausgefochten habe und für mich erkannt habe, dass ich es wert bin, zu leben und es genießen zu dürfen.

Ich weiß heute, dass ich bleiben darf.

Ich darf sowohl am Leben bleiben, als auch an der Seite meines heutigen Ehemannes.

Mein Leben definiert sich nicht mehr über Verlust, Trauer und den Umgang damit.

Ich weiß, dass ich leben darf, mit allem was es ausmacht.

Ich weiß, dass ich glücklich sein darf, dass ich angekommen bin, dass ich meine Kämpfe gewonnen habe.

Vor allem weiß ich, wie sehr ich lieben kann und das, mit allem, was es ausmacht.