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Wendla
„Ich wollte
auch immer
leben…“

Wendla

An wen erinnern wir uns heute?

An meine Mutter und an ganz alte Freunde, die ich verloren habe, als ich ein junges Mädchen war.

Was ist passiert?

Meine Mutter ist vor 5 Jahren im Alter von 77 gestorben. Sie hatte seit sie 18 war Multiple Sklerose und deswegen war meine Kindheit bzw. mein ganzes Leben geprägt von der Auseinandersetzung mit ihrem möglichen Tod, mit dem Schmerz der Krankheit, mit der Trauer und vor allem der Angst vor dem Tod. Der Tod war immer irgendwie Teil von meinem Leben.

Was hat es mit dir gemacht?

In meiner Kindheit hat sich vieles zu Hause abgespielt. Meine Mutter hat sich sozial mehr und mehr zurückgezogen. Sie hat sich viel geschämt. Trotzdem hatte ich eine normale Kindheit. Ich hatte Freunde, meine Mutter hat mir bei der Schule geholfen, wir haben schöne Sachen gemacht. Und dennoch habe ich das Gefühl, dass ich heute immer noch manchmal Leute oder Familien beobachte und dann denke ich, „Ach, so kann das auch sein“.

Was unseren Alltag geprägt hat ist, mit MS kommt immer eine geschwächte Blase und wir waren halt oft in der Stadt und diese Suche nach öffentlichen Toiletten hat meine ganze Kindheit bestimmt. Und auch die Scham meiner Mutter um das Thema natürlich. Das war immer da.

Ich glaube, ich habe irgendwie gespürt, dass das nicht normal ist mit einer kranken Mutter aufzuwachsen. Aber als Kind nimmt man die Dinge so. Erst als ich älter wurde und Eltern von Freunden kennen gelernt habe, habe ich gemerkt, dass das auch anders sein kann.

Ich habe mich schon in der Schulzeit in künstlerischen Projekten mit der Krankheit auseinandergesetzt. Als ich 14 war, gab es in meiner Schule eine Ausschreibung „Wie stellen wir uns das Jahr 2000 vor“ und da habe ich eigentlich meine erste Reportage gemacht. Ich habe eine Umfrage zu öffentlichen Toiletten gemacht und dann mussten die Leute ihre Meinung auf eine Klopapierrolle schreiben und in die Kamera halten. Das war mein erstes Fotoprojekt.

Der Tod meiner Mutter war wirklich die Angst meines Lebens, es war wirklich das Schlimmste, was ich mir vorstellen konnte. Ich habe immer gedacht, wenn meine Mutter stirbt, dann muss ich ganz viele Freunde haben. Das war so meine Devise.

Was hat dir geholfen?

Geholfen haben mir meine Freunde, immer wieder meine Freunde. Als meine Mutter gerade gestorben war, da haben mich meine Freunde einfach ins Auto gepackt, Essen gekauft und mich nach Hamburg gefahren. Auch auf der Beerdigung waren ganz viel Freunde von mir, ich habe wirklich ganz viele wirklich nahe Menschen.

Ich ab tatsächlich auch viele Freunde, die schon jemanden verloren haben. Das hat mir geholfen. Da konnte ich immer fragen, wie lange dauert das noch. Die hatten ein starkes Bewusstsein dafür, was es heißt, zu trauern und dass das nicht nach drei Wochen weg ist. Die haben da einen wahnsinnigen Anteil drangenommen. Die waren wie ein Netz, das vorbereitet war und in das ich dann reingefallen bin.

Was hat dir nicht geholfen?

Im Krankenhaus, kurz vor ihrem Tod, da hat sie mich beim Rausgehen so ganz, ganz liebevoll angeschaut, das war so ein besonderer Moment und dann kam so eine bescheuerte Krankenschwester und meinte, „Na, ihre Mutter hat jetzt ja auch nicht mehr lange“. Das war echt ganz schlimm.

Was machst du jetzt mit deinem Leben?

Verbunden mit dem Tod meiner Eltern ist immer so eine Angst vor Einsamkeit. Ich habe keinen Partner und keine Familie. Mein Vater ist jetzt um die 80. Allein sein und allein bleiben ist ein großes Thema. Ich gehe das Thema Einsamkeit jetzt auch therapeutisch an. Ich versuche Narrative umzuschreiben. Was heißt Einsamkeit, was ist so schlimm an Einsamkeit? Ich versuche herauszufinden, wie sich das Thema Tod auf mein Leben ausgewirkt hat. Außerdem suche ich immer noch einen Mann und drehe Filme 🙂

Kann man sich auf den Tod vorbereiten?

Der Tod ist, auch wenn man weiß, dass es darauf hinausläuft, zu groß für die Seele und die Psyche. Ich denke, man kann sich nicht vorbereiten. Das ist vergleichbar mit einer Geburt, wenn Leben kommt oder geht. Du kannst dich irgendwie vorbereiten, aber du weißt nicht, was für eine Geburt das wird und was das mit dir machen wird. Die Psyche und die Seele können das nicht fassen. Klar wusste ich, dass sie sterben wird, vor allem mit der Krankheit und so, aber es ist bis heute immer noch abstrakt für mich.